Der US-Finanzgigant BlackRock sorgt mit komplexen Steuervermeidungsstrategien für hohe Verluste in den Haushalten europäischer Staaten. Laut einer neuen Studie, die dem ARD-Studio Brüssel und der Süddeutschen Zeitung exklusiv vorliegt, entgehen der Europäischen Union dadurch jährlich zweistellige Millionenbeträge.
Der weltweit führende Vermögensverwalter setzt demnach auf ein ausgeklügeltes, wenn auch legales Steuermanagement. Der türkische Ökonom Prof. Ceyhun Elgin von der Boğaziçi-Universität in Istanbul – der zuvor an renommierten US-Hochschulen wie der Columbia University lehrte – hat die Analyse erstellt. Sie zeigt, wie BlackRock gezielt Steuerstrukturen innerhalb der EU nutzt, um Abgaben zu minimieren.
„BlackRock erreicht damit effektive Steuersätze, die nur etwa halb so hoch sind wie die gesetzlich vorgeschriebenen in wichtigen EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Italien“, erklärt Elgin.
Der Studie zufolge belaufen sich die Einnahmeverluste in der EU zwischen 2017 und 2023 auf geschätzte 500 Millionen bis eine Milliarde Euro. Für Deutschland bedeutet das allein einen jährlichen Ausfall von mindestens 50 Millionen Euro.
BlackRock weist Vorwürfe zurück
In einer schriftlichen Stellungnahme bezeichnete BlackRock die in der Studie getroffenen Aussagen als „falsch und irreführend“. Das Unternehmen betont, dass es sich bei der Steuerpraxis um die Einhaltung geltender Vorschriften handle:
„BlackRock zahlt Steuern in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen und wird dabei von unabhängigen Steuerexperten und Anwälten beraten. Unser Vorgehen ist konservativ, um sicherzustellen, dass sämtliche gesetzlichen Verpflichtungen eingehalten werden.“
Steuervermeidung durch interne Lizenzmodelle
Elgin identifiziert insbesondere zwei Hauptmechanismen der Steuervermeidung: Verrechnungspreise und Gewinnverlagerung. Ein zentrales Beispiel sei die Berechnung interner Lizenzgebühren:
„BlackRock stellt seinen Tochterfirmen in Ländern mit hohen Steuersätzen – etwa Deutschland oder Frankreich – überhöhte Lizenzkosten für die Nutzung der firmeneigenen Software ‚Aladdin‘ in Rechnung. Diese Ausgaben verringern die steuerpflichtigen Gewinne erheblich“, so Elgin.
Die Einnahmen aus diesen Lizenzgebühren fließen wiederum an Niederlassungen in Niedrigsteuerländern wie Irland oder Luxemburg – meist Briefkastenfirmen mit minimaler wirtschaftlicher Aktivität, die in erster Linie steuerliche Zwecke erfüllen.
Schirdewan fordert Konsequenzen – und nimmt Merz in die Pflicht
Für Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der Linken-Fraktion im EU-Parlament, steht fest: Die Praxis von BlackRock untergräbt die Steuerfairness in der EU. Er hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben und sieht durch die Ergebnisse auch den früheren Deutschlandchef von BlackRock, Friedrich Merz, unter Druck.
„Wenn jemand wie Merz, der von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender bei BlackRock Deutschland war, über ein so detailliertes Wissen zur Steuervermeidung verfügt, sollte er dieses Wissen nun als Bundeskanzler nutzen – und die entsprechenden Schlupflöcher schließen“, fordert Schirdewan.
Er betont, dass den öffentlichen Haushalten damit erhebliche Mittel entzogen würden – Gelder, die etwa in Gesundheit und Bildung dringend benötigt würden.
Studie fordert mehr Transparenz und härtere Regeln
Die Autoren der Studie plädieren für eine umfassende Transparenzpflicht für große, in der EU tätige Konzerne. Diese sollten offenlegen, wo sie Gewinne erzielen, wie hoch ihre Umsätze sind, welche Transaktionen durchgeführt werden – und wie viele Steuern in welchem Land gezahlt wurden.
Zudem fordern sie eine bessere internationale Zusammenarbeit der Steuerbehörden. Unternehmen, die Transparenz verweigern, sollten von öffentlichen Aufträgen sowie beratenden Tätigkeiten in EU-Institutionen ausgeschlossen werden.
von Fred Coldson